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Stadthistorisches Museum Mainz: Newsletter 10/2023

Liebe Freundinnen und Freunde des Stadthistorischen Museums Mainz,

heute stellen wir das Objekt des Monats Oktober vor, das seit 01.10. im Museum ausgestellt wird.
 


Objekt des Monats Oktober
- Lesebrille des Rabbiners Sali Levi -

Die Lesebrille ihres Mannes hatte Margarete Levi mit nach Amerika genommen. Ihre Tochter Ruth bewahrte sie nach dem Tod der Mutter als Andenken an ihren Vater auf. Sali Levis Enkeltochter Regina Lackner übergab die Brille bei ihrem Deutschlandbesuch 2021 unserem Museum für die Dauerausstellung „Magenza – 1000 Jahre jüdisches Mainz“, als Erinnerungsstück an einen bedeutenden Mainzer Rabbiner.

Dr. Sali Levi, geboren 1883 in Wiesloch, gestorben am 25.04.1941 in Berlin:

Sali Levi wurde am 2. November 1883 als Sohn eines Kaufmanns im badischen Wiesloch geboren. Nach dem Abitur entschloss er sich zu einem Rabbinerstudium. 1902 trat er in das Jüdisch-Theologische Seminar in Breslau ein, studierte daneben Philosophie und promovierte 1906 in Erlangen. Noch vor Abschluss der Rabbinerausbildung wurde er 1909 als zweiter Rabbiner an die neue Synagoge in Breslau berufen. Er heiratete Margarete Weissmann, die aus einer künstlerisch orientierten Kaufmannsfamilie stammte. Sie war eine begabte Pianistin, die bereits in jungen Jahren in Breslauer Konzertsälen auftrat. Nach der Eheschließung gab sie ihre musikalische Karriere auf. Die ersten beiden Kinder, Hilde und Hans, wurden in Breslau geboren, die jüngste Tochter Ruth später 1920 in Mainz.

Im Ersten Weltkrieg meldete sich Sali Levi freiwillig und tat Dienst als Feldrabbiner. Im Sommer 1918 wurde er als Nachfolger von Prof. Siegmund Salfeld auf die Rabbinerstelle an der reformierten Synagoge in Mainz berufen. Levi erwarb sich schnell die Anerkennung der Gemeinde und der Öffentlichkeit und war ein geschätzter Redner. So bat man ihn, 1929 zum zehnten Jahrestag der Weimarer Verfassung die Festrede vor mehreren tausend Gästen in der Mainzer Stadthalle zu halten. Er wirkte in vielen wichtigen jüdischen und nichtjüdischen Organisationen mit, war einer der Mitgründer der Mainzer Volkshochschule und eröffnete 1926 den Denkmalfriedhof auf dem Alten jüdischen Friedhof sowie das Museum für jüdische Altertümer in einem Anbau der Synagoge in der Hindenburgstraße.

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten versuchte er seine Gemeinde so gut wie möglich zu schützen und verstand es, geschickt mit Vertretern der Gestapo und anderer NS-Dienststellen zu verhandeln. 1934 richtete er mit Genehmigung der Schulbehörde die Jüdische Bezirksschule Mainz ein, die in einem Anbau der Hauptsynagoge Platz fand. Hier wurden die Kinder ausschließlich von jüdischen Lehrkräften unterrichtet, konnten eine behütete Schulzeit verbringen und wurden auf die Emigration vorbereitet. Sali Levi übernahm zunächst die Leitung der Schule, bevor er sie an den Oberstudienrat Dr. Eugen Mannheimer übergab, der seine Stelle an der Oberrealschule für Jungen verloren hatte.

Anfang 1939 reisten Sali Levi und seine Frau in die USA, um ihre beiden jüngeren Kinder Hans und Ruth zu besuchen, die wegen der fehlenden Möglichkeiten einer Berufsausbildung für jüdische Jugendliche Deutschland bereits verlassen hatten. Die älteste Tochter war nach Palästina emigriert. Von der USA-Reise kehrte das Ehepaar Levi nach Mainz zurück, da der Rabbiner seine Gemeinde nicht im Stich lassen wollte. Nach Kriegsbeginn, mit der zunehmenden Ausgrenzung und Verfolgung der Juden und ihrer Konzentration in „Judenhäusern“, wurden die Anforderungen an Sali Levi immer größer. Zuletzt musste er zusätzlich die Gemeinden in Darmstadt, Worms, Bingen und Gießen betreuen. Die hohe Arbeitsbelastung und die ständigen Schikanen der Gestapo zehrten an seinen Kräften. Erst jetzt entschloss er sich, mit seiner Frau Deutschland zu verlassen. Die jüdische Gemeinde in Brooklyn hatte ihm eine Rabbinerstelle angeboten.

Das Ehepaar reiste Ende März 1941 nach Berlin, da Juden zu dieser Zeit die Ausreiseformalitäten nur noch dort abwickeln konnten. Die lange Wartezeit auf die Papiere war zermürbend. Am 25. April 1941 erlitt Sali Levi einen Herzanfall und starb. Er wurde von Rabbiner Dr. Leo Baeck auf dem jüdischen Friedhof Weißensee bestattet. Margarete Levi musste die Reise allein antreten. In einem verplombten Waggon wurde sie gemeinsam mit anderen Emigranten quer durch Europa nach Lissabon gebracht, um das Schiff nach Amerika zu besteigen. Sie lebte zunächst in New York, später in Kalifornien in der Nähe ihrer Kinder und starb im Dezember 1960.

 

      

Stadtarchiv Mainz, BPSF / 10294 A
aus Paul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen, Bd. 3, Darmstadt 1973, S. 142



Wir hoffen, Sie möglichst bald wieder im Stadthistorischen Museum Mainz begrüßen zu dürfen.

Mit besten Grüßen und bleiben Sie gesund

Für das Museumsteam
Bernd Gudat

 

Impressum:
Stadthistorisches Museum Mainz
Zitadelle, Bau D
55131 Mainz
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