Die Ingelheimer Haderbücher
Mittelalterliche Laienrichter sprachen Recht nach altem Herkommen, überlieferter Gewohnheit und gemäß dem Rechtsempfinden ihrer Zeit. Anfangs wurde vor deutschrechtlichen Gerichten nur mündlich verhandelt. Im 14. Jahrhundert ging man allmählich dazu über, den Hader und Streit innerhalb der Gemeinschaft schriftlich festzuhalten. Auch am Gericht Ingelheim entstanden in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts die ersten »Haderbücher«. Geschulte Schreiber fertigten Protokolle der Verhandlungen vor den Ingelheimer Ortsgerichten an und trugen sie dann in das vorgesehene Haderbuch ein.
Trotz mannigfaltiger Verluste im 19. und 20. Jahrhundert haben sich aus den Jahren 1387 bis 1534 zahlreiche Haderbücher (sowie etliche Fragmente) im Stadtarchiv Ingelheim erhalten. (→ Übersicht) Mit dieser Fülle stellen die »Ingelheimer Haderbücher« die frühesten seriell erhaltenen gerichtlichen Textzeugnisse im deutschen Sprachraum dar und eröffnen für einen längeren Zeitraum einen einzigartigen Einblick in die Prozessführung eines weltlichen deutschrechtlichen Niedergerichtes.
In den Protokollen spiegelt sich das tägliche Leben in Ingelheim wider, das Gegen- und Miteinander von Reichsrittern, Reichsministerialen, Kloster- und Kirchenleuten, alteingesessenen Patrizierfamilien und einer Bevölkerung, die im »Ingelheimer Reich« wohnte und von der Landwirtschaft, dem Handwerk und dem Handel lebte. Somit bieten die Haderbücher einer Vielzahl von Disziplinen und Fragestellungen innerhalb der Geschichts-, Sprach-, Rechts-, Mentalitäts- und Kulturwissenschaft wichtige Ansatzpunkte.
Online Edition: www.haderbuecher.de
Das Projekt „Haderbücher“
Das von Dr. Werner Marzi (Ingelheim) im Jahr 2010 in Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv Ingelheim ins Leben gerufene Projekt »Edition des Ingelheimer Haderbücher« setzt die Reihe der Veröffentlichungen des Instituts für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz e. V. (IGL) fort. Das Projekt hatte es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt, von den im Besitz der Stadt Ingelheim befindlichen Haderbüchern fünf Bände als Buch zu veröffentlichen. Neben der Transkription des frühneuhochdeutschen Textes sollten eine Übertragung ins Gegenwartsdeutsche und ein ausführliches Register erstellt werden. Bis zum Jahr 2014 wurden drei Bände der Reihe in traditioneller Buchform herausgegeben.
Unter der Herausgeberschaft von Dr. Werner Marzi und Dr. Kai-Michael Sprenger (seit 2016) hatten Dr. Stefan Grathoff die Transkriptions- und Registerarbeiten sowie Dr. Regina Schäfer (Uni Mainz) die Übertragungen ins Gegenwartsdeutsche (Standarddeutsch) übernommen. Bei Band 3 war Ulrich Hausmann (M.A.) für die Transkription und Dr. Stefan Grathoff für die Übertragung zuständig. Das Layout und den Satz aller Buchbände besorgten Stefan Dumont (Berlin), Carolin Schäfer (Mainz) und Dr. Stefan Grathoff.
Bei der Gründung des Mainzer Zentrums für Digitalität in den Geistes- und Kulturwissenschaften (mainzed) im Jahr 2015 gehörte das Institut für Geschichtliche Landskunde (IGL) zu den Gründungsmitgliedern. Zur gleichen Zeit wurde der schon länger gehegte Gedanke, die Haderbücher in einer digitalen Fassung anzubieten, in Angriff genommen. Noch im Jahr 2015 entschieden die Stadt Ingelheim und das IGL, das vierte Haderbuch »Ober-Ingelheim 1518-1529« nicht mehr als Buch, sondern in digitalisierter Form im Internet zu veröffentlichen. Da für das innovative Projekt keine passende Software auf dem Markt war, musste erst eine geeignete Datenbank entwickelt werden.
In der Zwischenzeit wurde vom vierten Haderbuch – schon um die Buchausgabe zu vervollständigen – ein stark verkürzter Auswahlband als Buch gedruckt. Aus dem über 900 Seiten starken Quellentext wurden 19 beispielhafte Streitfälle aus verschiedenen Themenkreisen mit einer vollständigen Transkription und Übertragung ins heutige Deutsch vorgestellt und kommentiert. Dieser Kurzband mit einem Umfang von 159 Seiten ist im Jahr 2016 erschienen. Ende 2016 wurde die Software für den geplanten Internetauftritt fertiggestellt.
Haderbücher – online
ittlerweile sind sechs Haderbücher online auf dieser Website einzusehen. Damit ist diese Projektphase abgeschlossen. Es sind ausgewählte Bücher aus Nieder- und Ober-Ingelheim, Wackernheim sowie Groß-Winternheim verfügbar.
Das Layout und die technische Realisierung der Webseite (typo3, Datenbank, Server) besorgt am IGL Maximilian Wegner (B.A.). Dr. Stefan Grathoff ist für die Implementierung der Texte und die Erstellung des online-Registers zuständig. Carolin Schäfer kümmert sich um redaktionelle und alle organisatorischen Angelegenheiten.
»Haderbuecher.de« enthält – wie dies schon bei der Buchausgabe üblich war – die Transkription des frühneuhochdeutschen Textes und eine Übersetzung ins Gegenwartsdeutsche. Für die Online-Ausgabe wurde der Text leicht überarbeitet und das Register wesentlich erweitert und mit Links zu entsprechenden Artikeln in digitalen historischen Wörterbüchern und Lexika versehen. Gegenüber der Buchausgabe ist neu, dass jetzt auch Abbildungen des historischen Quellentextes mit angeboten werden. Durch die Digitalisierung wird der Zugang zu dieser umfangreichen und inhaltlich nicht einfach zu erschließenden Quelle wesentlich erleichtert.