Vortragsreihe 2022: Fake News in der Landesgeschichte von Rheinland-Pfalz

Allenthalben werden wir im Alltag durch ein kaum zu überblickendes Angebot unterschiedlichster Medien immer wieder auch mit so genannten „Fake News“ konfrontiert, und es wird zunehmend schwieriger, Wahres von Falschem und Wichtiges von Unwichtigem nachvollziehbar zu unterscheiden. Das Problem ist dabei keineswegs nur eine Erfahrung unserer Tage. Auch in der Geschichte spielten gezielt konstruierte und gestreute Informationen eine wichtige Rolle. Die Quellenkritik gehört daher nicht ohne Grund zu den originären Aufgaben der Geschichtswissenschaft. Damals wie heute können gerade diese mehr oder weniger auf Tatsachen beruhenden Informationen und konstruierten Geschichten indes eine erhebliche Wirkung erzielen und somit Fakten ganz eigener Art schaffen. Das Spektrum der historischen „Fake News“ reicht hier von identitätsstiftenden Legenden über politische Propaganda bis hin zu kreativen Verfälschungen und Interpretationen, mit denen familiäre Ansprüche oder gar lokale Marketingabsichten bedient werden können.

Die IGL-Vortragsreihe lenkt an Beispielen aus der rheinland-pfälzischen Landesgeschichte den Blick auf die Entstehungskontexte, Absichten und Wirkungen solcher Fiktionen. Thematisiert werden Legenden und Geschichten aus Worms, aus Hildegard von Bingens Feder um einen Heiligen sowie verfälschte Traditionslinien des Dalberger Ritterschlag-Privilegs. Auch sprachhistorische Fehlinterpretationen zur besseren Vermarktung von Weinlagen werden Gegenstand der Untersuchungen sein wie auch erfundene Quellen aus dem Umfeld Gutenbergs oder Verleumdungen in einem Prozess gegen den Gründungsrektor der Mainzer Universität. Dabei wird auch grundsätzlich die Frage zu stellen sein, ob und in welchen Vergleichsperspektiven das aktuelle Konzept von „Fake News“ überhaupt in historischen Kontexten und an konkreten Fallbeispielen greif- und übertragbar ist. 

Vorträge

Dienstag, 3. Mai 2022
Dr. Kai-Michael Sprenger | „Fake News“ um Gutenberg – Fiktionen in der Gutenberg-Rezeption und ihre faktische Wirkung  (vor Ort + Streaming)

Dienstag, 10. Mai 2022 
Dr. Rudolf Steffens | Die Niersteiner Glöck: „Älteste Weinlage Deutschlands?“ (vor Ort + Streaming)

Die Niersteiner Glöck ist eine überregional bekannte Weinlage im Ortsbereich von Nierstein unterhalb der Kilianskirche. In dem ca. 2 Hektar großen ummauerten Areal wird ausschließlich Riesling angebaut. Die Lage ist im Alleinbesitz der Weinbaudomäne Oppenheim. In heimatkundlichen Publikationen zum Niersteiner Weinbau, in den Preislisten der Weinbaudomäne Oppenheim und auf Internetportalen wie www.deutscheweine.de oder www.riesling.de findet sich die Aussage, die Glöck sei die älteste Weinbergslage Deutschlands, belegt durch eine Schenkungsurkunde aus dem Jahre 742. Der Vortrag geht der Frage nach, was von dieser Datierung zu halten ist.

Dienstag, 17. Mai 2022 
Dr. Hermann-Josef Braun | „Dieser Fall einer Menschenverfolgung durch die Bürokratie steht geradezu einzig in der Nachkriegszeit da!“ – Die Amtsenthebung des Gründungsrektors der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (vor Ort + Streaming) 

Knapp ein Jahr nach dem Ende des 2. Weltkrieges wurde am 22. Mai 1946 die Johannes Gutenberg‑Universität Mainz in einer ehemaligen Flakkaserne am Rande der damaligen Stadtgrenze eröffnet. Die Initiative zur Wiederbegründung ging von der französischen Besatzungsmacht aus, namentlich General Raymond Schmittlein (1904-1974), der als „Directeur de l’Éducation Publique“ in der Besatzungszone fungierte. Bereits im November war Dr. Josef Schmid (1898-1978), der zum 1. März 1946 zum Rektor der Universität berufen wurde, von ihm beauftragt worden, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, damit der Vorlesungsbetrieb zum geplanten Zeitpunkt beginnen konnte. Als dieser Termin tatsächlich gehalten werden konnte und der Betrieb mit ungefähr 2.000 Studierenden sowie ca. 100 Lehrenden startete, fanden die Leistungen des Gründungsrektors, der sich in seiner neuen Aufgabe regelrecht verausgabte, größten Respekt und man sprach voller Hochachtung vom „Wunder von Mainz“.

Für den nichtakademischen Bereich war Fritz Eichholz (1902-1994), der Schwager von General Schmittlein, als sog. Verwaltungsdirektor verantwortlich. Eichholz entwickelte sich zunehmend als Antipode zum Rektor, indem er die ihm von der Satzung auferlegten Kompetenzgrenzen missachtete, übergriffig handelte und somit allmählich für eine Stimmung des Misstrauens gegen den Rektor sorgte, was im Herbst 1947 zu dessen Abberufung durch den Senat der Universität führte, obwohl die Satzung eine Amtszeit von vier Jahren vorsah. Am 13. Oktober 1947 wurde Prälat Prof. Dr. August Reatz (1889-1967) vom Senat zum neuen Rektor der Universität Mainz gewählt. Maßgeblich durch die zusammenwirkende Einflussnahme von Eichholz und dem AStA-Vorsitzenden, cand. theol. Peter Manns (1923-1991), erließ der rheinland-pfälzische Kultusminister Adolf Süsterhenn (1905-1974) am 27. Dezember 1948 eine Einleitungsverfügung zu einem Dienststrafverfahren gegen Schmid. Aufgrund der Eröffnung des Dienststrafverfahrens wurde Schmid seiner Funktion als Professor der Johannes Gutenberg-Universität enthoben, verlor 25% seiner Dienstbezüge, musste sofort seine Dienstwohnung räumen und wurde aus dem Vorlesungsverzeichnis gestrichen. Das sich anschließende Gerichtsverfahren zog sich unverhältnismäßig lange hin. Durch das Urteil vom 4. Dezember 1952 wurde Schmid in allen Anklagepunkten vollständig rehabilitiert und erhielt sein Ordinariat zurück. Dem Zeugen Manns attestierte das Urteil hingegen in einer langen Begründungskette absolute Unglaubwürdigkeit für eine ganze Reihe von Vorwürfen, die dieser gegen Schmid erhoben hatte. Schmid selbst blieb bis zu seiner Emeritierung 1966 Professor in Mainz.

Dienstag, 24. Mai 2022

Leider fällt der Vortrag von Dr. Franz Stephan Pelgen aus.

Dr. Franz Stephan Pelgen | „Ist kein Dalberg da?“ – Die berühmte Familienwürde-Legende im Seifenblasen-Test (nur vor Ort, kein Streaming)

Die Kämmerer von Worms, genannt von Dalberg, sind eine bedeutende Niederadelsfamilie gewesen. In den sieben Jahrhunderten ihrer Familiengeschichte haben sie es mehrfach geschafft, in der Germania sacra einen Fürstenrang zu bekleiden. Der Name des Geschlechts ist bekannt, und seine Nennung evoziert gewisse Erwartungen: »Ist kein Dalberg da?« mag Vielen sofort in den Sinn kommen.

Den Dalbergern genügte ihr 1653 erlangter Reichsfreiherrenstand offensichtlich. Sie scheinen die Erhebung in den Reichsgrafenstand (und eine mögliche Reichsstandschaft) nicht angestrebt zu haben, denn sie zeichneten sich durch ein besonderes Privileg aus, das der Familie am Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit verbrieft worden war, das Vorrecht auf den Ersten Ritterschlag anlässlich einer in Rom stattfindenden Kaiserkrönung. Erst nach dem 30-jährigen Krieg machte die Familie von diesem Privileg auch wirklich Gebrauch, erfuhr auf seiner Basis 1653 dann besagte Erhebung in den Reichsfreiherrenstand und nach einem selbstbewussten Vorstoß des Ritterhauptmanns Franz Eckenbert von Dalberg in Wien auch die höchste Blüte des modernisierten Privilegs. Nun wurden die Dalberger zu »Ersten Erbrittern des Heiligen Römischen Reiches«. Nur ihnen allein wurden dieser Titel und die besondere Standeserhebung zuteil, und hierüber erhielten sie sogar wertvolle »Gedächtniskleinodien« anlässlich der Krönungen seit 1742 bis zum Untergang des Alten Reiches verliehen.

Der reich bebilderte Vortrag trennt die historistischen Legenden von der echten Historie und fokussiert die Familienwürde-Entwicklung über mehrere Jahrhunderte – mit teilweise noch nie gezeigten »Familienschätzen«. 

Dienstag, 31. Mai 2022 
Dr. Matthias Schmandt | Wer war der hl. Rupert? Hildegard von Bingen erfindet sich einen Klosterpatron (vor Ort + Streaming)

Hildegard von Bingen (1098-1179) und die mit ihr zusammenarbeitenden Redakteure haben ganze Arbeit geleistet, als es galt, das Werk der Prophetin für die Nachwelt aufzubereiten: Die gesamte „Original“-Überlieferung der Hildegard-Schriften stammt aus ihrem letzten Lebensjahrzehnt und zeichnet das Bild einer scheinbar aus Raum und Zeit gefallenen Verkünderin göttlicher Offenbarung. Bis heute fußen die populären biografischen Traditionen über Hildegard auf diesen Texten, deren zeitgenössische Entstehungszusammenhänge, ihr „Sitz im Leben“, damals konsequent durch zeitlose Botschaften überschrieben worden sind. Ein langjähriges Forschungsprojekt des Binger Hildegard-Museums am Strom versucht, der Prophetin und ihren Schriften ihren historischen Ort zurückzugeben. Aus diesem Zusammenhang soll am Beispiel von Hildegards Rupertus-Vita gezeigt werden, wie man im Kloster Rupertsberg mit historischen „Fakten“ umging – und wie und warum man manchmal auch ganz neue schuf.

Dienstag, 14. Juni 2022

Raumwechsel: Der Vortrag findet im Kardinal-Volk-Raum im Erbacher Hof statt.

Volker Gallé | Geschichte und Geschichten. Methoden historisch-narrativer Sinndeutung an Beispielen aus der Stadt Worms (vor Ort + Streaming)

Historische Ereignisse werden überwiegend durch schriftliche oder mündliche Texte überliefert, seien es Chronik- oder Literaturformate. Sie enthalten neben Verortungen und messbaren Daten immer auch einen Anteil an narrativen Sinndeutungen. Ob sie überliefert oder vergessen werden, hängt sowohl von Herrschafts- als auch von Erkenntnisinteressen ab. Sie nutzen in unterschiedlichem Maß symbolische Formen und sind nach dramaturgischen Grundmustern gestaltet wie ältestem Ursprung, Heldenreise, Rückbindung oder Fortschritt. Beispiele aus Worms sind die Fälschungsurkunde vom ersten Bischof, die Martinslegende, das Nibelungenlied und seine Rezeption, Erinnerungslücken an den demokratischen Aufbruch am Rhein, das Stadtmarketing in der NS-Diktatur oder die etymologische Erklärung des Begriffs Wonnegau.

Termine

Dienstag, 3. Mai 2022
Dienstag, 10. Mai 2022
Dienstag, 17. Mai 2022
ENTFÄLLT Dienstag, 24. Mai 2022
Dienstag, 31. Mai 2022
RAUMWECHSEL Dienstag, 14. Juni 2022

Beginn jeweils um 19:00 Uhr
Veranstaltungsort:
 Haus am Dom, Liebfrauenplatz 8, 55116 Mainz

Der Eintritt ist frei. 
Die Vorträge (außer dem am 24. Mai) werden vor Ort digital aufgezeichnet und sind anschließend im Youtube-Kanal des IGL online verfügbar.

Es gilt die 3G-Regel (u.v.). Eine Anmeldung ist nicht notwendig.

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