Kolloquium: Religiöse Ordnungsvorstellungen und Frömmigkeitspraxis im Hoch- und Spätmittelalter (Kolloquium aus Anlass des 60. Geburtstags von Prof. Dr. Franz J. Felten)
Aus Anlass des 60. Geburtstags von Prof. Dr. Franz J. Felten luden die Veranstalter zu einem Kolloquium in den Erbacher Hof nach Mainz. Freunde, Weggefährten und Kollegen des Jubilars haben sich bereit erklärt, Vorträge zu einem Forschungsfeld beizutragen, dem Franz J.Felten sich in den letzten Jahren intensiv gewidmet hat. „Religiöse Ordnungsvorstellungen und Frömmigkeitspraxis im Hoch- und Spätmittelalter“ lautete das Thema, das die Referate aus den Bereichen der Geschichte, mediävistische Germanistik, Philosophie und Theologie verklammerte.
Das Kolloquium eröffnete Stefan WEINFURTER (Heidelberg) mit einem Vortrag über „Reformideen und Reformpraxis in spätsalischer Zeit“. Ausgehend von dem berühmten Bericht über die deditio Herzog Heinrichs von Kärnten vor Erzbischof Konrad von Salzburg betrachtete Weinfurter den Wandel und die Kontinuität von Reformideen und Reformhandeln unter den beiden Gliederungspunkten „Funktionalisierung des Guten“ und „Moralisierung der Politik“. An dem gewählten Einstiegsbeispiel zeigte er auf, wie der Sieg der Reformpartei moralisch legitimiert wurde. Unter dem Punkt „Funktionalisierung des Guten“ untersuchte der Referent den offensiven Charakter der Reformen im Zeitalter des „Investiturstreits“, die in alle Bereiche des kirchlichen und weltlichen Lebens hineinreichten, die Reformer selbst sahen sich in einer Zeit des völligen Neuanfangs und auf Seiten des Guten, des guten, gottgewollten Lebens (vita beata). Die Moralisierung der Politik verdeutlichte der Referent anhand des Handelns des sogenannten „Reformadels“, besonders anhand der Argumentation im Absetzungsverfahren gegen Heinrich IV. Seine Leitfrage: „Wie beeinflusste/n die Reform/die Reformer die politische Praxis?“, beantwortete er dahingehend, dass keine Reform des Mittelalters eine solch universale gesamtgesellschaftliche Wirkung gehabt habe wie die Reform des 11. und 12. Jahrhunderts, da die kirchlichen Werte auch in der politischen Argumentation über die bisherige Werteordnung gestellt wurden und die Idee der Gemeinschaft als solcher auch außerhalb des kirchlichen Lebens gesamtgesellschaftlichen Nachklang gefunden hat.
Maria-Christina LUTTER (Wien) behandelte die „Frömmigkeitsvorstellungen und -praxis in miracula des 12. Jahrhunderts“ am Beispiel der einzigartigen Überlieferung des Doppelklosters Admont. In einem Codex der Klosterbibliothek (Cod. Adm. 638) sind Marienmirakula aufgezeichnet worden. Es handelte sich um für die Gemeinschaft spezifische Geschichten (und für die Gemeinschaft bestimmte Geschichten), d.h. die Mirakelberichte geben trotz ihrer Topik Hinweise auf den Kontext der Gemeinschaft und ihre Lebensweise. An drei Beispielerzählungen führte die Referentin ihre These von der Koppelung von asketischer Praxis und Emotionen aus. Adressatenkreis der Erzählungen war die Doppelgemeinschaft von Männern und Frauen in Admont. Es gibt in den Texten deutliche Rückbezüge auf die Lebensweise der Gemeinschaft; etwa auf die Anwesenheit des gesamten Konvents (Brüder und Schwestern) bei Begräbnisfeiern oder auf den Eintritt in das Kloster nach einem Leben in der Welt (die Präsenz von Witwern und Witwen ist auch aus den Traditionsnotizen zu erschließen). Die Grenzen zwischen Diesseits und Jenseits sind in den Mirakelberichten fließend, das Jenseits aus Elementen des Diesseits konstruiert. Entscheidende Bedeutung kommt der Körperlichkeit zu, also der physischen Vergegenwärtigung des Jenseits.
In ihrem Referat „Zum Verhältnis von Frömmigkeitspraxis und öffentlicher Tätigkeit nach Bernhard von Clairvaux“ stellte Mechthild DREYER (Mainz) die Funktion der Demut bei Bernhard von Clairvaux in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen. Bernhard vertrat die traditionellen monastischen Vorbehalte gegenüber hohen Kirchenämtern, die Furcht vor Machtstreben und Aufgabe der monastischen Lebensweise. Demut war für Bernhard vor allem mit Selbsterkenntnis verknüpft. Selbsterkenntnis ermöglicht die Erkenntnis der Wahrheit, die über drei Stufen führt: Erkenntnis der Wahrheit über sich, der Wahrheit über die Mitmenschen und der Wahrheit über Gott. Diese Erkenntnis ist mit Besinnung und Nachdenken verbunden und fordert eine gewisse Distanz zum Alltag, wie sie Bernhard in seinen Schriften an/für Papst Eugen III. anmahnt. Bernhard verknüpft seine Betrachtungen mit scharfer Kritik an der Verweltlichung der Kirche. Bei seinen Ausführungen über Selbsterkenntnis rezipiert er vor allem Augustinus, dabei ist seine Leistung vor allem die Intellektualisierung des humilitas-Begriffs. Bernhard ist nicht wissenschaftsfeindlich, sondern steht für die Verbindung von Rationalität und monastischer Spiritualität; Wissen darf nicht Selbstzweck sein, sondern sollte stets auf die Dienstfunktion beschränkt sein.
In seinem Abendvortrag über die Rolle „der zweiten Generation bei der Institutionalisierung mittelalterlicher Orden“ bot Gert MELVILLE (Dresden) eine Skizze der aktuellen vergleichenden Ordensgeschichte. Ausgehend von der Beobachtung, dass zwar oft die charismatischen Gestalten im Fokus der Forschung stehen, es sich bei den eigentlichen Ordensgründern aber um die Personen der zweiten Generation handelt, untersuchte der Referent die Schritte und Kategorien der transpersonalen Institutionalisierung. Entscheidend für das „Umschalten“, für die Veralltäglichung des Charismas, wie Max Weber es genannt hat, ist der Wechsel von der charismatischen Legitimierung zur rationalen Legitimierung. Melville fragte bei der Untersuchung der Basis für diesen Wechsel nach den Gemeinsamkeiten und den Spezifika der Orden. Er ordnete seine Beispiele zur Charakterisierung der ersten Generation in die Kategorien „charismatische Einzelperson“ und „rational-legale Satzung“ ein. Ein Beispiel für die erste Kategorie waren etwa die Franziskaner, während bei den Zisterziensern auch in der ersten Generation die Bindung an die normativen Texte wie die Charta Charitatis die Gemeinschaft zusammenhielt. Ausgangspunkt der zweiten Generation und entscheidendes Moment für die institutionelle Weiterentwicklung von Orden der ersten Kategorie ist die Reaktion auf das Charisma der ersten Generation. Der wichtigste Bewahrungsort des charismatischen Gründers war dabei der Text der Vita. Als Fazit lässt sich festhalten, dass es ein weites Spektrum an Möglichkeiten gab, in denen der Gründer im Orden weiter legitimationsstiftend wirkte, selbst wenn neue Wege in der organisatorischen Ausformung beschritten wurden. Wenn der Text die Grundlage eines Ordens war, dann brauchte man eben einen „nachträglichen“ Charismatiker, wie es Bernhard von Clairvaux für die Zisterzienser war.
Den Samstag eröffnete Uta STÖRMER-CAYSA (Mainz) mit einem Vortrag über „Die Ordnung der Engel. Mystisches Denken am Anfang des 14.Jahrhunderts“, in dem sie ausgehend von der Frage, ob es innerhalb der Engelhierarchie Aufstiegsmöglichkeiten gibt, zu den Vorstellungen über die Beschaffenheit von Engeln kam. Im Unterschied zu der Tendenz des späten 13. Jahrhunderts, Engel als stofflich zu begreifen, führte die Referentin Vorstellungen des Thomas von Aquin und Meister Eckhards an, die Engel als immateriell und subjektiv anzusehen. Die Frage nach den Aufstiegsmöglichkeiten menschlicher Seelen zu Gott erläuterte die Referentin mit Meister Eckhard, bei welchem der Mensch unmittelbar zu Gott steht. Die Engel, in ihrer unveränderlichen Hierarchie, fungieren deshalb nur als Zuschauer und nicht als Mittler.
Im zweiten Vortrag des Vormittags untersuchte Sebastian SCHOLZ (Mainz) „Öffentliche Frömmigkeit im 15. Jahrhundert. Stiftung, Memoria und Repräsentation auf Denkmälern“ an drei sehr verschiedenen Beispielen. Zuerst wurde eine Bildtafel über die Zeichen der 15 Tage aus Oberwesel, die diese populäre Legende über die Apokalypse anschaulich für die Gemeinde darstellte, zugleich aber auch das Bild des Schenkers mit der Bitte um Schonung beim jüngsten Gericht beinhaltete, analysiert. Das zweite Beispiel, die Grabplatte der Lukardis Schenkin von Erbach, zeigt, wie mit dem Abweichen vom gewohnten starren Formular von Grabplatten die besondere Frömmigkeit und Mildtätigkeit der Verstorbenen dargestellt werden konnte. Auch im dritten Beispiel, den Grabdenkmälern des Grafen Philipp I. von Hanau-Lichtenberg, seiner Frau und zweier Söhne, die in ewiger Anbetung im Chorraum der Kirche von Babenhausen schon fünf Jahre vor dem Tod des Grafen aufgestellt wurden, soll durch die Darstellung mit Rosenkränzen, Gebetbuch und in schlichter Kleidung die Frömmigkeit der Dargestellten hervorgehoben werden. Dieses Bildnis soll, neben den anderen Funktionen der Grabplatten, unter anderem die Präsenz der Verstorbenen bei ihren Gedenkmessen zeigen und die Kleriker an die Pflicht der Abhaltung dieser Gedenkmessen erinnern.
Im dritten Vortrag des Vormittags „Reformbestrebungen im Prämonstratenserorden während des 15. Jahrhunderts und deren Nachwirkungen im Zeitalter der Reformation“ stellte Johannes MEIER (Mainz) ausführlich den Ablauf der Reformen in den Prämonstratenserklöstern der deutschen und der angrenzenden Zirkarien vor der Reformation sowie einige wichtige Gestalten der Reform vor allem im westfälischen Klarholz dar. Abschließend bot der Referent einen Ausblick auf die Geschichte des Ordens bis zum Ende des Dreißigjährigen Kriegs.
Zum Abschluss der Tagung wandte sich Heribert MÜLLER (Frankfurt a. M.) mit dem Vortrag „Zur Relevanz kirchlicher Ordnungsvorstellungen für die Kirche von heute. Die Diskussion über die Konzilsdekrete Haec Sancta und Frequens im Umfeld des II. Vatikanums“ der jüngsten Geschichte zu und stellte dar, wie die Einberufung dieses Konzils zu einem neuen Interesse der Forschung am Konstanzer und Basler Konzil führte. Insbesondere die beiden Dekrete Haec Sancta und Frequens wurden zunehmend als gleichwertiger Alternativentwurf zum papalen System der Dekrete des I. Vatikanums gesehen. Auch wenn es mit zunehmender Dauer des II. Vatikanums unter den Teilnehmern und auch in der Fachöffentlichkeit vermehrt zur Ablehnung einer konziliaren Struktur der Kirche kam, so wurde doch die Konzilsüberlieferung seit dem II. Vatikanum nachhaltig und dauerhaft gestärkt sowie die Bedeutung der Konzilien für die verschiedensten Aspekte gerade der Geschichte des 15. Jahrhunderts zunehmend deutlich.
Datum: 14.07.2006 – 15.07.2006
Ansprechpartner:
Abteilung II (Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften) des Historischen Seminars der Johannes Gutenberg-Universität; Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz in Kooperation mit der Akademie des Bistums Mainz 14.07.2006-15.07.2006, Mainz.